Liebe Lotte, warum bist Du Hebamme geworden?

Das verdanke ich meiner Patentante, die auch Hebamme ist. Schon als kleines Mädchen hat sie mich mit auf ihre Hausbesuche genommen. Ich war damals vielleicht acht oder neun Jahre alt. Meine Patentante spielt eine bedeutende Rolle in meinem Leben, ich bewundere und schätze sie sehr. Da wir uns ein bisschen ähnlich sind, dachte ich, es wäre eine gute Idee. War es auch.
Als ich ihr erklärte, ich wolle ebenfalls Hebamme werden, war sie die Einzige, die es kritisch gesehen hat. Die positiven Seiten dieses Berufs sind offensichtlich, über die Schattenseiten hat sie mich gut aufgeklärt. Sie hat nicht aufgehört zu fragen, ob ich mir wirklich sicher bin. Nach meinem Entschluss stand sie voll und ganz hinter mir und jetzt freuen wir uns, uns auch beruflich zu begegnen und zu bereichern.

Seit wann arbeitest Du im Geburtshaus, warum hast du dir diesen Arbeitsplatz ausgesucht?

Ich bin fast ein Jahr dabei, im Juli 2021 habe ich im Geburtshaus Hamburg angefangen. Davor habe ich zwei Jahre in einer kleinen aber für die physiologische Geburt renommierten Klinik gearbeitet. Nachdem ich Ende 2018 meine Ausbildung in Paderborn abgeschlossen habe, wollte ich sowohl schon arbeiten als auch das duale Hebammenkunde-Studium in Osnabrück beenden. Das war eine sehr intensive und anstrengende Zeit. Aber es war auch wertvoll, während des Studiums zu arbeiten, so konnte ich aktuelle Fragen direkt mit in die Uni nehmen und Erlerntes direkt mit in den Kreißsaal. Langfristig war für mich aber immer klar, dass ich in die Außerklinik möchte. Und dann kam während der Corona-Krise der Anruf meiner Freundin aus dem Geburtshaus. Das Team suchte Verstärkung. Die Pandemie hat meinen Schritt ins Geburtshaus beschleunigt. Durch die Umsetzung und das Management von pandemiebedingten Maßnahmen hatten wir im Krankenhaus noch weniger Zeit für die werdenden Mütter als vorher. Da war es an der Zeit für mich die Stellung zu wechseln.

Die Arbeit in der Klinik, die für viele vermeintlich sicherer ist, ist es für mich nicht. Im Krankenhausbetrieb habe ich mit Risiken zu tun, die strukturell oder invasionsbedingt sind. Wenn ich mehrere Frauen gleichzeitig betreuen muss (die gegebenenfalls unterschiedliche Medikamente bekommen haben und vielleicht auch so Risiken mitbringen), kann ich dennoch immer nur bei einer zurzeit sein. Währenddessen sind die anderen auf sich allein gestellt. Kommen zusätzlich unter der Geburt Komplikationen hinzu, wird die Situation immer untragbarer. Hier im Geburtshaus fühle ich mich sicher, hier kann ich zu hundert Prozent da sein und kann die Situation jederzeit beurteilen und entsprechend handeln. Dafür bin ich ausgebildet. In der Außerklinik können wir den Geburtsprozess optimal unterstützen und beobachten. Natürlich gibt es dann auch mal Geburten, die medizinische Intervention benötigen, da kann man dann in Ruhe den Ort wechseln. Aber alle Frauen bekommen die Zeit und Aufmerksamkeit, die Sie brauchen. Das ist in der Klinik personell bedingt leider selten möglich. Im Geburtshaus werden eine Geburt oder eine Verlegung immer durch zwei Hebammen begleitet. Es ist unglaublich wertvoll, im Team zu arbeiten. Der tägliche Austausch mit meinen Kolleginnen ist offen, ehrlich und sehr vertrauensvoll. Wir lernen viel voneinander und können uns gemeinsam entwickeln. Das möchte ich nicht mehr missen.


Was sind deine Aufgaben‚ und was magst du besonders?

Das Herzstück meiner Arbeit ist die Geburt. Es ist immer wieder faszinierend zu erleben, wie viel Kraft Frauen unter der Geburt aufbringen und auch wie viel Energie Paare freisetzen können. Jede Geburt bleibt besonders, auch für uns Hebammen. Wenn das Baby da ist, und wir Hebammen das erste Mal die kleine Familie für einen Moment alleine lassen, nehmen wir uns fest in den Arm – das ist das schönste Ritual für mich. Auch Hebammen erleben die Geburt, wir sind ja keine Maschinen. Das ist auch etwas, das im klinischen Alltag leider untergeht.

Die weiteren Bereiche, in denen ich tätig bin, sind Vorsorgen und Nachsorgen. Da ich am weitesten von Geburtshaus entfernt wohne, sind nicht alle Frauen, die ich nach der Geburt betreue Frauen aus dem Geburtshaus. Wenn es dann mal doch so ist, ist es besonders schön Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett begleiten zu können.

Was fordert dich heraus?

Mit der Selbstständigkeit gibt es viele zusätzliche organisatorische Aufgaben. Abrechnungsbedingungen oder auch die Struktur im Geburtshaus mit allen Kursen und Angeboten wollen überblickt sein, das sind für mich die schwierigeren Aufgaben. Wenn man dann doch mal was vergisst, hat Heike es im Blick und erinnert einen dran. Dafür sind wir ihr, glaube ich, alle sehr dankbar.
Aber auch die Rufbereitschaft kann herausfordernd sein, weil die Zeit dann so unplanbar ist. Ist das Team mal etwas kleiner, muss man auch mehr Rufbereitschaften machen. Die Herausforderung ist dann vor allem das Privatleben. Aber bisher haben wir im Team immer eine gute Lösung für alle gefunden. Das ist zumindest mein Empfinden.


Gibt es eine Geschichte aus dem Geburtshaus, die du nicht vergessen wirst?

Ich durfte die Freundin, die mich ins Geburtshaus gelockt hat, bei ihrer ersten Geburt begleiten. Wir haben schon die Ausbildung zusammen gemacht und sie ist eine sehr gute Freundin. So eine besondere Zeit eng begleiten zu dürfen, ist dann natürlich besonders schön. Auch haben wir unheimlich viel während der Geburt gelacht. Natürlich ist es eine Herausforderung, jemanden den man liebt in einer Extremsituation zu begleiten, aber es ist auch in gleichem Ausmaß bereichernd und berührend. Jetzt bin ich Patentante. Ob ich auch irgendwann so einen großen Einfluss auf mein kleines Patenkind haben werde wie meine eigene Patentante, wird sich zeigen. Aber die kleine hat es jetzt schon faustdick hinter den Ohren und würde mit Sicherheit mal eine gute Hebamme abgeben. Oder Raumfahrerin. Oder IT-lerin. Oder alles was sie sich wünscht. Ich werde sie in jedem Fall unterstützen.


Am 4. September ist endlich wieder Sommerfest. Freust du dich darauf?

Es ist mein erstes Sommerfest im Geburtshaus und ich freue mich wahnsinnig: Als ich anfing, war wegen Corona alles runtergefahren, jetzt kann ich langsam den Trubel erleben, von dem ich bisher nur gehört habe. Und beim Sommerfest soll es ja besonders trubelig sein. Ich freu mich auf die Begegnung mit den betreuten Familien und den interdisziplinären Austausch mit den Fach-Kolleg*innen. Bestimmt werde ich mich vorher in der Küche austoben und vor Ort hätte ich auch total Lust beim Kinderschminken zu helfen. Aber jetzt erst mal an die Planung …


Kannst du dich entscheiden für Elbe oder Alster?

Auf der Binnenalster ist es mir zu voll aber ich liebe die nördlichen Flussarme in Alsterdorf und Poppenbüttel. Auf meinem SUP kann ich hier Natur aufs Intensivste erleben.


Liebe Lotte, vielen Dank für das Gespräch, hab einen schönen Sommer!

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