Britta Höpermann, Petra Kruse und Heike Sander wirken in der Geschäftsstelle des Geburtshauses und kümmern sich um Führung, Organisation und die betriebswirtschaftlichen Aufgaben. Sie alle sind von Anfang an dabei und haben vor ihrer gemeinsamen „Bürozeit“ geburtshilflich gearbeitet.

Warum habt ihr das Geburtshaus eröffnet? Was war die Idee, was hat euch motiviert?

Petra: Damals wurde die Geburt eines Kindes in den Krankenhäusern abgewickelt wie eine Blinddarmoperation. In grüne Kittel gesteckt, mussten die Frauen die Geburt ihres Kindes quasi über sich ergehen lassen. Für uns Hebammen war das frustrierend. Das Thema lag in der Luft. In Berlin wurde das erste Geburtshaus gegründet, wir hier in Ottensen waren bereits zu zehnt in einem Verein zusammengeschlossen.

Heike: Die Motivation kam auch von außen: Frauen haben uns angesprochen und konkret gefragt, ob wir nicht einen Ort schaffen könnten, wo sie in Ruhe ihre Kinder bekommen können? Mittlerweile gibt es ungefähr 130 Geburtshäuser in Deutschland.

Was waren eure größten Herausforderungen?

Britta: Zunächst brauchten wir Räume, die diverse Bedingungen erfüllen mussten. Diesen herrlichen Platz im Hinterhof, mitten in Ottensen, haben wir über Mund-zu-Mund-Propaganda gefunden. Früher war hier eine Auto-Werkstatt, die wir ganz nach unseren Bedürfnissen und Vorstellungen umgebaut haben. So entstand ein guter Ort für Frauen und Familien und ein schöner Arbeitsplatz für uns Hebammen.

Petra: Wir brauchten Geld. Damals vergab die Stadt Hamburg günstige Gründungsdarlehen für selbstverwaltete Betriebe. Mit Hilfe der Lawaetzstiftung erarbeiteten wir einen Businessplan und das Darlehen, welches wir schon lange abgezahlt haben, wurde bewilligt.

Britta: Und es ging grundsätzlich um die Anerkennung im Gesundheitswesen. So waren beispielsweise die Leistungen der Geburtshäuser in der Gebührenverordnung der Krankenkassen nicht verankert. Vieles mussten die Familien aus eigener Tasche bezahlen. Da wir zu den ersten Geburtshäusern in Deutschland zählen, haben wir viel berufspolitische Aufbau-Arbeit leisten müssen.

Heike: Einige Jahre später ging es dann um die Haftpflichtversicherung für freiberufliche Hebammen. Die Versicherungsbeiträge wurden drastisch erhöht, ohne dass es Steigerung der Verdienste für die Hebammen gab. Die gesamte außerklinische Geburtshilfe geriet in eine große Krise, da Hebammen nicht mehr genügend Geld verdienten. Wir gingen auf den Rathausplatz und demonstrierten gemeinsam mit den von uns betreuten Familien für finanzielle Gerechtigkeit und damit für den Erhalt der Wahlfreiheit des Geburtsortes.

Britta: Die existenzielle Not der Hebammen hatte zur Folge, dass auch uns der Personalmangel drohte. Nicht erst zu diesem Zeitpunkt haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, einen besonders attraktiven Arbeitsplatz für Hebammen zu schaffen. Einen Platz, der familienfreundlich ist und verlässlich arbeitsfreie Zeiten bietet, an dem hierarchiefreies, mitbestimmendes und kollegiales Arbeiten möglich ist und der eine schöne Atmosphäre bietet.

Heike: Es gab auch Zeiten, ganz anders als heute, wo wir plötzlich weniger Anmeldungen hatten. (Die Falschmeldung einer regionalen Zeitung ließ die Leser*innen vermuten, dass wir schließen. Wir glauben, dass dieser Irrtum damals Ursache für den Rückgang war.
Petra: Im Moment erleben wir einen großen Ansturm und müssen lange Wartelisten führen. Mit Beginn der Corona-Krise haben sich die Bedingungen in den Geburtskliniken weiter verschlechtert, das bekommen wir deutlich zu spüren.

Welche Erfolge haben für euch eine besondere Bedeutung?

Britta: Ich kann mich noch sehr gut an unsere Eröffnungsfeier vor dreißig Jahren erinnern. Niemals hätten wir mit so viel Zuspruch gerechnet. Es kamen sehr viele Gäste: Familien, Politikerinnen, Ärztinnen und Kolleginnen. Wir haben uns sehr gefreut und ein rauschendes Fest gefeiert. Jetzt, 30 Jahre später, freuen wir uns auf ein rauschendes Fest mit allen Familien und Geburtshausbabys.

Heike: Unser größter Erfolg ist die tägliche Bestätigung und Dankbarkeit von Frauen und Familien, die sich von uns gut betreut fühlen.

Petra: Es ist auch toll, Anerkennung von der Wissenschaft zu erfahren. Die Erkenntnisse, die der neuen Leitlinie zur Gesunden Geburt zugrunde liegen, sind nicht zuletzt durch die Erfahrungen der Geburtshäuser und der gesamten außerklinischen Geburtshilfe geprägt. Die Zahlen der statistischen Erhebungen durch QUAG – das ist die Qualitätssicherung in der außerklinischen Geburtshilfe – belegen, dass die Eins-zu-eins-Betreuung Geburtsrisiken stark mindert und damit ein große Säule in dem Ziel Gesunde Geburt darstellt.

Hat sich in 30 Jahren was an der Ursprungsidee geändert? Was motiviert Euch heute? 

Britta: Die Motivation, ein ganzheitliches Angebot zu schaffen, wo Frauen und Familien über den gesamten Betreuungsbogen selbstbestimmt agieren können, ist unsere Kern-Idee von Anfang an. Gegen den Trend bleiben wir bei dem Grundsatz „Kinder können ruhig kommen.“ Während in Kliniken Betreuungszeit an jeder Ecke eingespart wird, legen wir viel Wert auf eine individuelle Betreuung und Begleitung bei Vorsorge, Geburt und Wochenbett mit ausreichend Zeit – Zeit für alle Fragen.

Haben sich Wünsche und Vorstellungen von Schwangeren und werdenden Familien in den letzten drei Jahrzehnten verändert?

Britta: Die Eins-zu-eins-Betreuung ist heute noch wichtiger als früher. Die Frauen wünschen sich, dass ihre Hebamme sie individuell betreut und umfassend informiert. Sie möchten selbstbestimmt sein und mit in die Verantwortung genommen werden. Frauen sind heute selbstbewusster, sie verstehen Schwangerschaft und Geburt ganzheitlich als einen gesunden Prozess von Körper, Geist und Seele.

Heike: Die Wochenbettbetreuung ist heute länger, früher war sie nach zehn Tagen abgeschlossen, heute erstreckt sie sich über das gesamte erste Lebensjahr.
Die Familien leben heute oft nicht mehr in Verbünden. Eltern junger Familien sind oft nicht am Ort und es werden viele Einzelkinder geboren. All dies sind Gründe für den Wunsch nach längerfristiger Unterstützung beim Familie werden.

Mit dem Verein Geburtshaus e.V. engagiert ihr euch gesundheitspolitisch. Was sind die Aufgaben?

Britta: Der Verein hat sich zum Ziel gemacht, die Position der Geburtshäuser und der dort arbeitenden Hebammen zu stärken. Im Netzwerk der Geburtshäuser tauschen wir Wissen und Erfahrung, ebenso sind wir im größten Berufsverband, dem Deutschen Hebammenverband organisiert und sorgen gemeinsam für eine umfassende Qualitätssicherung. Als eines der ersten und größten Geburtshäuser in Deutschland unterstützen wir neue Geburtshäuser mit unserem Wissen und unserer Erfahrung.

Petra: …Und wir bilden aus, seit 30 Jahren. Für Hebammenstudentinnen sind wir ein attraktiver Ausbildungsort, da sie bei uns einen Einblick in alle Bereiche zum Thema Schwangerschaft und Geburt bekommen und so viel wie möglich mitwirken können.

Was würdet ihr ändern, wenn ihr könntet?

Britta: Ich wünsche mir, dass die Kosten für die Rufbereitschaft von den Krankenkassen übernommen werden. Petra: Wir brauchen mehr hebammengeleitete Kreissäle in den Kliniken.
Heike: Ich wünsche mir, dass Hebammen länger in der Geburtshilfe arbeiten. Dafür brauchen wir bessere Arbeitsbedingungen in den Kliniken. Bei dem heutigen Tempo sind die Kolleginnen schnell ausgebrannt.

Was ist unvergesslich?

Heike: So richtig gern erinnere mich an unseren Nachbarn aus dem Fahrradladen. Wir führten ein Interview im Hof mit dem NDR und Ösi machte noch eine Ergänzung und erzählte, wie er seine Kundschaft beruhigt, wenn laute Atemgeräusche aus den Fenstern in den Innenhof dringen. Er kenne sich aus, dass sei alles ganz normal, er wisse, wie weit die Geburt ist, es ist alles gut, es hört sich super an.

Britta: Meine liebste Geschichte ist eine sehr schnelle Geburt. Wir hatten gerade eine Informationsveranstaltung „Geburt im Geburtshaus“, da kamen Eltern zur Geburt. Das Kind hatte es so eilig, dass sie es nicht mehr ins Geburtshaus schafften und das Baby in der Hofeinfahrt geboren wurde. Die Stimmung war unglaublich. Zwei junge Männer stellten sich auf und boten Sichtschutz für Mutter und Hebammen, Nachbarn boten Hilfe an und applaudierten vom Balkon.
Als wir die junge Familie dann ins Geburtszimmer brachten, standen die Eltern, die eigentlich den Themenabend besuchen wollten, Spalier und applaudierten ebenfalls. Wir waren alle geflasht.
Einige Wochen später wuchs an dieser Stelle in der Hofeinfahrt ein kleines Gänseblümchen durch die Asphahltritzen. Das war rührend.

Wer oder was verdient Euren Dank?

Heike: Ich bin den zehn Hebammen dankbar, die das Geburtshaus gegründet haben … und allen Frauen und Familien, die in den 30 Jahren unser Angebot angenommen und uns unterstützt haben.

Britta: Ich danke allen Kolleginnen für ihre wertvolle Arbeit. Insgesamt haben hier 106 Hebammen das Haus mit Einsatz, Ideen, Expertisen und Engagement gefüllt und tun es heute noch. Ein besonderer Dank geht an unsere verstorbenen Kolleginnen Nys Eggert und Ilse Hörwick. Die beiden haben das Geburtshaus mit viel Herzblut über lange Zeit wesentlich mitgeprägt.

Britta: Es ist großartig, mitten in Ottensen im Herzen von Altona, in einer so tollen und vor allem toleranten Nachbarschaft arbeiten zu dürfen.

Heike: Wenn ein Kind geboren wird und die Hörner der Schiffe tuten, dann ist das immer wieder besonders schön.

Petra: Ich bin dankbar für 30 Jahre bester Arbeitsplatz ever!

Das Gespräch führte Petra Dohrendorf

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