Liebe Vukani,
nun bist du auch schon einige Monate Teil des geburtshilflichen Teams im Geburtshaus Hamburg. In der Zusammenarbeit mit dir fällt immer wieder auf, dass dich mit dem Stadtteil viel verbindet. Magst du uns erzählen, wie und wo du aufgewachsen bist?

Ich bin hier großgeworden – hier in Ottensen. Ich bin regelmäßig am Geburtshaus vorbeigelaufen, da ich in der Rothestraße zur Schule gegangen bin. Meine Eltern wohnen auch noch hier und meine jüngere Schwester ist nur für ihr Studium weggezogen. Sie macht diese Woche ihr Staatsexamen in Medizin und wird dann Ärztin.

Es scheint Bezugspunkte zu dem Berufsfeld in deiner Familie zu geben?

Bezugspunkte gibt’s eigentlich nicht, höchstens die soziale Arbeit. Meine Mutter arbeitet in einem Frauenhaus, für ein halbes Jahr habe ich das auch gemacht, außerdem habe ich in einer Grundschule und im Hospiz gearbeitet. In all meinen Praktika ging es immer um Menschen, mir am am liebsten um Frauen und Kinder. Mit 20 Jahren habe ich ein FSJ in Peru in einem Kinderheim gemacht, gearbeitet hab ich dort mit Kindern, die 12 bis 18 Jahre alt waren. Das war eine heftige Erfahrung für mich, noch dazu kam, dass ich vorher kein Spanisch sprach. Hier begegnen wir im Alltag selten Menschen, die heftige Gewalterfahrungen gemacht haben. In dem Heim lebten Kinder, von denen viele während einer Vergewaltigung entstanden sind – sie sind häufig die Leidtragenden. Die Mädchen wurden meist von ihren Familie verbannt. Sie alle lebten wie im Gefängnis, hinter Mauern, die Kinder sind aus dem Heim nie rausgekommen. Die dreijährigen Kinder konnten teilweise noch nicht laufen oder noch nicht sprechen, weil ihre Beziehungen von Beginn an so gestört waren und keine Förderung stattfand.

Da wusstest du also noch nicht, dass du mal Hebamme werden willst. Erinnerst du dich an den Moment …

Ganz genau! Nach dem FSJ bin zurück gekommen und hab wieder bei meinen Eltern gewohnt. Ich wusste nicht, was ich machen wollte. Zunächst habe ich am Käsestand auf dem Markt gearbeitet. Irgendwann habe ich mit meiner Mutter eine Dokumentation über Beleghebammen gesehen. Das ist es, hab ich mir gedacht. Da fängt es nämlich an, bei der Schwangerschaftsbegleitung oder von mir aus auch schon bei der Sexualberatung, ab da können wir Einfluss nehmen, eine Welt mit glücklichen Menschen zu haben. Und mit guten Menschen. Es ist wichtig, dass der Anfang stimmt. Jemanden so zu begleiten, dass der Start mit Schwangerschaft und Geburt gut ist, machte einen guten Bindungsaufbau möglich. Auch wenn die Frau das Kind nicht behalten kann, weil sie vergewaltigt wurde oder so, ist eine gute Schwangerschaft und eine gute Geburt für als Beteiligten wertvoll. Um zu erfahren, ob ich das überhaupt kann, hab ich erst mal ein Praktikum gemacht. Ne schlechte Hebamme braucht kein Mensch, dachte ich mir.

Du sagst, dein Hauptbeweggrund war es, einen möglichst guten Start ins Leben zu gewähren. Wie findest du diesen Aspekt in deiner alltäglichen Arbeit wieder?

In meiner Arbeit habe ich alle Bereiche, die dazu gehören gebündelt. In der ganzheitlichen Betreuung mache ich Vorsorgen, Geburtsvorbereitung und arbeite am Wochenbett.

Als Hebamme hast Du hast langjährige Erfahrung in der Klinik gesammelt. Du sagst, dass Du erst jetzt ganzheitlich agierst. Was sind für dich die größten Unterschiede in der Arbeit zwischen der klinischen und der außerklinischen Tätigkeit?

Ich habe das Gefühl, dass ich jetzt viel näher dran bin an Physiologie, als ich es vorher jemals war. In der Klinik gibt es Entscheidungen, die sich für mich nicht richtig angefühlt haben. Diese aber dennoch mittragen zu müssen, fand ich nicht schön.

War dir dieser Aspekt in der Klinik schon bewusst, oder ist es dir erst im Verlauf bewusst geworden?

Nee, ich habe schon ganz am Anfang gesagt: Irgendwann gehe ich ins Geburtshaus. Ich habe das als eine noch größere Verantwortung empfunden. Ob ich das immer noch so sehe, kann ich gerade nicht beurteilen. Am Anfang hat für mich eine große Rolle gespielt, dass immer jemand da ist, wenn ich alleine überfordert bin oder mich korrigiert, wenn ich nicht das Richtige mache. In der ersten Klinik, in der ich gearbeitet habe – ein toller kleiner Kreißsaal, quasi hebammengeleitet – war für mich deutlich spürbar, wo unser Tanzbereich ist und was geschieht, wenn es Auffälligkeiten gibt. Leider hieß es dann schnell: Bereiten Sie schon mal die Sectio vor. Mir wurde klar, wo sich Bereiche überschneiden und an welcher Stelle ich gern mitentscheiden würde. Ärztinnen und Ärzte sind meistens nicht so nah an den Frauen sondern viel an sich selbst und am System. Die stellen sich der Frage, wie man physiologisch unterstützen kann oft gar nicht.


Was macht für dich eine gute Geburt aus? Kannst du drei Kernaspekte zusammenfassen?

Ich finde es wichtig, die Frau abzuholen, egal an welchem Punkt sie steht, damit sie in ihre eigene Kraft gehen kann. Da sehe ich unsere Aufgabe. Der Trugschluss in der Klinik ist häufig, dass wir das Kind rausholen müssen. Aber darum geht es nicht. Es geht darum, dass die Frau es schafft, ihr Kind rauszuarbeiten. Das ist nicht immer nur schön, aber manchmal haben Familien trotzdem ein schönes Geburtserleben, weil sie die Chance hatten aktiv zu sein und selbst etwas auszuprobieren.
Natürlich auch, dass ein gesundes Kind dabei rauskommt. Und da spielt ganz arg Zeit eine Rolle. Ihre eigene Zeit. Man muss für Geburt einen Raum schaffen, in dem die Frau ihre Kraft, in ihrer Zeit und mit ihrem Tempo entfalten kann.

Was macht dich als Hebamme aus?


Meine Stärken ist die Empathie, denke ich. Ich glaube ich kann Frauen gut abholen. Auch weil es mein unbedingtes Anliegen ist. Ich glaube ich bin auch nahbar und kann signalisieren, dass man mit mir reden kann. Egal ob es darum geht, dass sich jemand etwas wünscht, was ich noch nicht gebe oder es gerne anders hätte. Und ich habe ganz viel Vertrauen in Geburt und die Physiologie. Dass es funktioniert wenn es drauf ankommt, auch mit Unterstützung natürlich – aber, dass es funktioniert. Und dass Mutter und Kind (aller meistens) die Möglichkeiten in sich tragen, zu einer guten Geburt zu kommen. Und dass ich meistens Ideen habe, um zu fördern ohne zu fordern.


Gibt es Visionen, die du als Hebamme hast? Für dich persönlich oder für den Beruf?


Oh, ja klar! Wir sind leider noch nicht da, wo wir sein müssten, schon lange sein könnten in diesem reichen Land. Das, was sie jetzt schon vorhaben finde ich echt smart: Geburt mit in Grundversorgung einbauen. Weil genauso wie wir alle sterben, werden wir alle geboren. Und dass der Start entscheidend ist, wusste ich schon mit 20, wahrscheinlich noch früher. Ich kenne das Gefühl noch aus der Grundschule: Dieses Kind hat es schwerer als ich. An manchen Stellen haben wir schon erkannt, dass Prävention wichtig ist, regelmäßige gynäkologische Vorsorgen zum Beispiel. Dass Hebammenarbeit so schlecht bezahlt wird und dass es dementsprechend für viele ein wenig attraktiver Beruf ist, ist einfach dumm. Zudem auch noch anstrengende und beschwerliche Ausbildungsvoraussetzungen zu schaffen, dass für manche der Beruf schon von vorn herein kaputt geht, ist für mich eine politische Frage, die definitiv geklärt werden muss – an oberster Stelle. Und das ist auch möglich. Eigentlich betrifft es uns ja alle und wir können uns alle dafür stark machen. Das tun Hebammen leider noch nicht genug – und ich leider auch noch nicht. Aber wenn ich irgendwann nicht mehr unter eine Frau in Froschhaltung krabbeln kann, dann gehe ich vielleicht in die Politik, mal schauen. Ich hoffe wir treffen uns da.


Wenn du nicht Hebamme bist, womit verbringst du am liebsten deine Zeit?


Meine erste große Leidenschaft war Fußball. Wenn man im Verein ist, spielen Regelmäßigkeiten eine große Rolle, das ist für Hebammen schwierig. Jetzt gerade bin ich wieder am Suchen. Früher war ich Leistungssportlerin, mit dem Ende dieser Zeit habe ich mich noch nicht so ganz abgefunden. Ich hätte gerne wieder ein sportliches Ziel, aber da ich zwei Verletzungen in den Beinen hatte, bin ich noch nicht wieder so weit. Gerade geht es also eher darum, mehr bei mir anzukommen, mich wieder neu einzufinden in meinem Leben, da es sich im letzten Dreiviertel-Jahr komplett geändert hat. Nur die Umgebung ist die alte .

Was wäre dein liebstes Wochenbettgericht?


Ich könnte mir vorstellen, mir von meiner Mutter ein Curry kochen zu lassen. Vielleicht ein Fisch-Curry. Mein Vater ist Südafrikaner. Das Rezept kommt eigentlich daher, aber es ist ursprünglich aus der indischen Küche.
Was ist dein Lieblingskäse beim Käseberg?
Jetzt gerade mag ich am liebsten Gute-Laune-Käse. Den gibt’s auch bei Alnatura.

Das Interview mit Vukani Lawrence wurde am 16.06.2023 von Sophie-Charlotte Schröter geführt.

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