Liebe Chiara, kannst du uns erzählen, wie und wieso du Hebamme geworden bist?

Auf die Frage, wieso ich Hebamme geworden bin, habe ich keine genaue Antwort. Es war ein Zufall, da ich eigentlich Ärztin werden wollte. Die Aufnahmeprüfung für das Medizinstudium hatte ich nicht im ersten Anlauf geschafft, für das Hebammenstudium war ich allerdings auf einer Warteliste und wurde nach einem Monat angerufen, dass ein Platz frei geworden sei. Nach kurzer Überlegung habe ich mich entschieden es zumindest auszuprobieren.

Ich kann also nicht wirklich sagen, warum ich Hebamme geworden bin – aber ich kann dir sagen, warum ich Hebamme bin. Da man in Italien erst im dritten Studienjahr Geburten sieht, hat sich auch erst in dieser Zeit die Leidenschaft für Geburtshilfe entwickelt, ich bin dann Hebamme geworden und anschließend nach Deutschland gegangen, um dort zu arbeiten. Dafür war ich mit einer Organisation die Hebammen und Pflegekräfte für Deutschland rekrutiert für vier Monate in Spanien. Ich habe Deutsch auf dem Level B2 gelernt und anschließend wurden wir an Krankenhäuser vermittelt. Da ich in eine große Stadt wollte, habe ich mir Hamburg ausgesucht und angefangen in einer Klinik zu arbeiten. Nach etwa 5 bis 6 Jahren habe ich gemerkt, warum ich Hebamme bin. Ich kann also nicht wirklich sagen, warum ich Hebamme geworden bin, aber ich kann dir sagen, warum ich Hebamme bin. Ich habe realisiert, wie wichtig es ist Hebamme zu sein – für die Gesellschaft, für die Frauen und für die neue Generation.


Und warum bist du Hebamme?


(lacht) Ich bin Hebamme, weil ich meinen Beruf nicht nur als medizinischen Beruf, sondern auch als sozialen Beruf sehe. Ich stimme sehr mit der Annahme der Salutogenese überein, dass die Geburt ein bio-psycho-soziales Ereignis ist. Und dass unser Job demnach besonders wichtig ist, damit Frauen in der Schwangerschaft, bei der Geburt und in der Stillzeit eine Chance haben, sich zu entdecken und stark zu werden.

Wir brauchen starke Frauen für unsere Gesellschaft. Dass Frauen von der Gesellschaft immer wieder klein gehalten werden, stört mich sehr. Ich finde als Hebamme kann man den Prozess Frauen stark zu machen, intensiv unterstützen. Und diese Frauen sind dann diejenigen, die unsere nächste Generation erziehen. Was gibt es Wichtigeres für die Zukunft und für die Menschheit?!


Und vielleicht noch ein kurzer Exkurs wie du dann deinen Weg in Geburtshaus gefunden hast?


Seit ich Hebamme bin, war es mein Wunsch in der außerklinischen Geburtshilfe zu arbeiten. In Italien finden nur 0,2 Prozent der Geburten außerhalb der Klinik statt und ich wusste, dass ich in Italien gar keine Zukunft als außerklinische Hebamme habe. Ich habe dann, um meine Sprache zu verbessern, erstmal in einer Klinik in Deutschland angefangen. Die Größe des Teams hat mir vor allem sprachlich die Sicherheit gegeben, dass immer jemand da ist, die oder der Sprachhindernisse überwinden und Aufklärungsgespräche führen kann. Das hat mir zwar Schutz gegeben, aber ich habe mich nicht wohl gefühlt, weil die Arbeitsweise nicht zu meiner persönlichen Philosophie gepasst hat. Dann habe ich mich nach anderen Möglichkeiten umgeschaut und ich wusste schon immer, dass es das Geburtshaus Hamburg gibt. Was mich früher als einziges noch davon abgehalten hatte, war, dass die Kommunikation in der Außerklinik eines der wichtigsten Instrumente einer Hebamme ist.

Wenn du hauptsächlich dich, deine Anwesenheit und deine Sprache als Werkzeug unter der Geburt zur Verfügung hast, ist es besonders wichtig, die Sprache sehr gut zu können. Bei meiner Suche nach Alternativen zur Klinik habe ich gemerkt, dass ich Hausgeburtshilfe generell gut finde. Am Geburtshaus hat mich letztendlich aber überzeugt, dass ich ein größeres Team ohne Hierarchien zur Verfügung habe, das mir den Austausch mit anderen Frauen ermöglicht. Parallel zum Entscheidungsfindungsprozess habe ich auch ein Studium angefangen, das als Schwerpunkt die Salutophysiologie hat. Dieses Studium hat mir schließlich den letzten Impuls gegeben, eine Entscheidung zu treffen und das Arbeitsumfeld zu wechseln.

Unser Team hat gerade ordentlich Zuwachs bekommen. Welche Veränderungen nimmst du wahr und was macht uns als Team aus?

Als ich angefangen habe war das Team echt klein und ich kannte es nicht anders. Demnach habe ich mir schon Gedanken gemacht wie es wird, wenn wir so viele werden. Aber jetzt bin ich total froh, weil die neuen Kolleginnen so tolle Menschen sind. Am Ende sind sie alle eine Bereicherung, diejenigen mit Berufserfahrung genauso wie diejenigen ohne Berufserfahrung. Da die jüngeren Hebammen auch eine neue Generation Hebammen – eine neue Generation Frauen – bilden, die auch anders – beruflich und gesellschaftlich – sozialisiert sind. Sie haben sich beispielsweise bereits im Studium mit der Selbstbestimmung unter der Geburt auseinandergesetzt. Diese Hebammen sind von Anfang an stark und selbstbewusst und können die Frauen dementsprechend begleiten. Dieses Selbstbewusstsein hatte ich am Anfang nicht. Ich glaube es liegt nicht nur an meinem Charakter, sondern an meiner Generation.

Was uns als Team ausmacht, ist auch, dass wir alle sehr unterschiedliche Persönlichkeiten sind. Viele von uns sind ruhiger, manche sind mehr Feuer, aber wir haben alle die gleichen Werte und die gleichen Ziele. Deswegen sind wir so ein harmonisches Team.


Und was macht dich im speziellen als Hebamme aus?

(schmunzelt und lacht) Puh, große Frage. Also ich finde, dass ich sehr empathisch und sehr geduldig bin. Es fällt mir nicht schwer, die Frau ins Zentrum zu stellen während der Betreuung. Das empfinde ich als sehr natürlich, dass die Frau die Protagonistin ist, von ihrer Schwangerschaft, Geburt und Stillzeit. Und dass Frauen individuell und ressourcenorientiert betreut werden sollen. Aber das führt natürlich automatisch dazu, dass man sich selbst zurücknimmt und dass die eigenen Bedürfnisse nicht mehr berücksichtigt werden. Das ist vielleicht meine Aufgabe, sich selbst in der Arbeit auch etwas zu schützen.



Du hast gerade deinen Master in Hebammenwissenschaften abgeschlossen – Herzlichen Glückwunsch! Worüber hast du deine Masterarbeit geschrieben und kannst du die Ergebnisse in deine tägliche Arbeit einfließen lassen?

Also der Titel meiner Arbeit ist: „Mit dem System oder mit der Frau? Der innere Konflikt der Hebammen als Ressource zum Fortschritt.“ Ich habe die unterschiedlichen Betreuungsmodelle in der Hebammenarbeit angeschaut und auch deren Veränderungen im Verlauf der Geschichte. Zentral ist hierbei natürlich der Wandel, dass Geburtshilfe früher nur eine Frauenangelegenheit war, und dass das Patriarchat eine starke Veränderung der Hebammenarbeit hervorgerufen hat. Die Geburten wurden vom häuslichen Umfeld in die Klinik verlegt. In diesem Strukturwandel habe ich mir vor allem die Veränderungen in der Hebammenarbeit angeschaut und wieso Hebammen einen inneren Konflikt erleben, zwischen „bei der Frau sein“ und „im System zu arbeiten“.

Die traditionelle Hebammenarbeit war wirklich fokussiert darauf, in Beziehung mit der Frau zu sein. Aber dann haben das Krankenhaus und gewisse Organisationsstrukturen dazu geführt, dass andere Prioritäten gesetzt wurden. Daraus resultierte dann, dass die Beziehung zwischen der Frau und der Hebamme immer mehr in den Hintergrund gerückt wurde – was aber doch eigentlich die Hebammenarbeit komplett ausmacht. Natürlich bleibt dieser Anspruch im Hebammenprofil und vor allem in den Herzen aller Hebammen bestehen: das Bedürfnis, mit der Frau zu sein und die Frau auf ihrem Weg zu begleiten. In der Klinik wird es nicht ermöglicht das als Priorität zu haben, weil die Hebammen mehrere Frauen und zusätzlich verschiedene Organisationsprozesse begleiten müssen. Es wird nicht gefördert und Hebammen erleben das als inneren Konflikt. Bin ich da für die Frau, oder bin ich da für das System? Meine Frage bezüglich dieser Feststellung war es, herauszufinden, welche Ressourcen eine Veränderung dieses inneren Konfliktes bewirken können. Denn für mich bedeutet Fortschritt in der Geburtshilfe nicht neue Medikamente oder neue Technologien zu entwickeln, sondern Fortschritt heißt einen kulturellen Wandel in der Geburtshilfe zu schaffen, bei dem wieder die Frau und die Beziehung zur Hebamme im Zentrum stehen.



In welchen Bereichen sollte deiner Meinung nach noch mehr geforscht werden und worüber hättest du gerne mehr Studien?

Ich finde es sehr wichtig, dass insbesondere die Physiologie jetzt von Hebammen erforscht wird. Forschung in der Geburtshilfe war bisher ein von ÄrztInnen dominiertes Feld, die natürlich medizinische Fragestellungen thematisiert haben. Fragestellungen über Pathologien; über GDM (Schwangerschaftsdiabetes) beispielsweise, oder erhöhten Blutdruck und so weiter. Aber nie die Physiologie. Es gibt so wenige Studien, die nicht schon bei den Grundannahmen zur Physiologie fehlerhaft sind. Nehmen wir beispielsweise unsere Annahme über Geburt, dass der Muttermund sich ca. 1cm pro Stunde öffnet. Das haben wir alle so gelernt. Diese Annahme stammt aus den 50er Jahren, als ein Dr. Friedman das Partogramm entwickelt hat, für das er 100 Frauen beobachtet hat (von denen 96 Prozent Betäubungsmittel und auch weitere Interventionen erhalten hatten). Wir müssen endlich die richtigen Annahmen treffen, um Rückschlüsse auf die Physiologie treffen zu können. Wir brauchen mehr Hebammenstudien – In allen physiologischen Forschungsbereichen der Geburtshilfe. Und wir brauchen Studien im außerklinischen Setting.


Wo siehst du dich in 10 Jahren?

(lacht) In 10 Jahren bin ich 42, da sehe ich mich noch bei Geburten. Und, dass ich mein Handy nachts anhaben muss und zur Geburt gerufen werde.

Welches wäre dein persönlich liebstes Wochenbettgericht?


Lansagna! (sic!)

Damit erübrigt sich fast meine letzte Frage: Pizza oder Pasta?


Ganz klar: Pasta.

Vielen Dank liebe Chiara, für dieses großartige Interview. Und jetzt viel Spaß bei der Demo anlässlich des feministischen Kampftages und einen wunderbaren restlichen Frauentag dir, deinen Kolleginnen und allen Frauen da draußen.

Das Interview wurde am 8. März 2023, am internationaler Frauentag von Charlotte Schröter geführt.
Foto: Leo van Versendaal

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